Die oft verkannte Ursache für Rückenschmerzen

Quelle: Welt

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Hausärztliche Gemeinschaftspraxis - Olga Erl & Rumyana Mincheva

Hexenschuss, Bandscheiben – daran denken wohl die meisten bei Rückenschmerzen. Doch oft sitzt das Problem im Iliosakralgelenk. 

Die Schmerzen können in die Leistengegend und in den Oberschenkel ausstrahlen.


Bei Rückenproblemen denken die meisten Menschen an einen Hexenschuss oder herausgerutschte Bandscheiben. Dahinter kann aber ein Übeltäter stecken, den kaum einer auf dem Zettel hat: das Iliosakralgelenk – kurz ISG.


Es sitzt auf beiden Seiten ganz unten im Rücken und verursacht mitunter Schmerzen, die der Betroffene kaum zuordnen kann. „Zwar äußern sich Probleme mit dem Iliosakralgelenk meistens als einseitige Schmerzen im unteren Rückenbereich, doch sie können auch in Richtung Oberschenkel, Po, in die Leistengegend, den Bauch oder sogar bis zum Fuß ausstrahlen“, sagt der Physiotherapeut Michael Tiemann aus Aachen.


Die beiden handtellergroßen Gelenke verbinden die Wirbelsäule auf Höhe des Kreuzbeins mit den Beckenschaufeln. Seinen sperrigen Namen verdankt das Iliosakralgelenk der Lage zwischen dem Kreuzbein (Sakrum) und rechten und linken Darmbein (Ilium).
Allerdings führt der Begriff „Gelenk“ in die Irre, sagt Christoph Eichhorn, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Orthopäden- und Unfallchirurgenverbands (DOUV): „Es ist kein Kugelgelenk, wie es das beispielsweise an Hüft- oder Schulterknochen gibt, sondern ein flaches Gelenk, dessen Bewegungsspielraum nur wenige Grad beträgt.“


Das ISG dient als Stoßdämpfer in der Mitte des Rumpfes. Geht jemand zum Beispiel joggen, entsteht beim Auftreten eine Belastung, die über die Beine an den Beckenring weitergeleitet, dort abgefangen und anschließend an den Rumpf und die Wirbelsäule weitergegeben wird. Muskeln und Bandstrukturen halten und stabilisieren das ISG, damit es diese stoßdämpfende Funktion übernehmen kann.
Auslöser: Schwangerschaft, Sportunfall, Beinlängenunterschiede, langes Stehen.


Werden die stabilisierenden Strukturen weicher – zum Beispiel durch die Hormonumstellung in einer Schwangerschaft – oder kommt es bei einem Sportunfall zu kleinsten Verletzungen, kann das Beschwerden verursachen. Auch wenn ein Bein länger ist als das andere, setzt das dem Iliosakralgelenk zu. „Oft klagen Patienten über Schmerzen, wenn sie lange stehen müssen oder nach dem Liegen oder Sitzen aufstehen“, sagt Tiemann.


„Es gibt zudem bestimmte Erkrankungen, die speziell dieses Gelenk betreffen“, ergänzt Johannes Flechtenmacher, Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU). Dazu gehören Morbus Bechterew und Sakroiliitis. „Bei beiden Erkrankungen kommt es zu einer Entzündung und letztlich zu einer kompletten Versteifung des Gelenks.“

Schwierigkeiten mit dem Iliosakralgelenk kann prinzipiell jeder bekommen. „Aber Menschen, die recht wenig Sport machen, sind meiner Erfahrung nach häufiger betroffen“, sagt Flechtenmacher. Auch Menschen, die ein starkes Hohlkreuz haben, wodurch die Gelenke im unteren Rücken stark belastet sind, erwischt es eher als andere.


Wer über mehrere Wochen Rückenschmerzen hat, sollte die Ursache unbedingt von einem Facharzt abklären lassen. Stellt sich heraus, dass tatsächlich das Iliosakralgelenk die Schmerzen verursacht, rät Flechtenmacher zu Bewegung.


Hilfe durch Bewegung und Sit-ups

„Wichtig ist vor allem, die Bauchmuskulatur zu stärken, um den Rücken zu entlasten.“ Das gilt nicht nur, wenn Menschen bereits Schmerzen haben: „Jeder Orthopäde empfiehlt, die Bauchmuskulatur zu trainieren.“ Bei Ausdauersportlern geht das zum Beispiel ganz einfach, indem sie nach dem Lauftraining noch einige Sit-ups machen.


Auch der Orthopäde und Unfallchirurg Prof. Gerd Gruber aus Heidelberg betont: „Sich zu schonen oder Bewegung zu vermeiden, wäre in den meisten Fällen vom Grundgedanken falsch.“ Die Bewegung sollte sich an den Ursachen der Beschwerden orientieren. Ist das ohnehin schon straffe ISG in seiner Bewegung noch weiter eingeschränkt – Ärzte nennen das Blockade –, kann der Arzt zunächst versuchen, es zu lösen. Danach führt der Patient täglich 15 Minuten lang in Eigenregie Übungen durch, die die Rumpfmuskulatur stärken.


Neben Muskeltraining könnten zur Behandlung auch Elektrotherapie, Massagen oder Wärmetherapie gehören, um Schmerzen zu lindern, ergänzt Physiotherapeut Tiemann.


Operiert wird am ISG laut Flechtenmacher nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa nach einem komplizierten Beckenbruch. „Stattdessen hilft es meist, das Gelenk chirotherapeutisch gut behandeln zu lassen und zu mobilisieren.“ Das führe in der Regel schnell zu einer Besserung. Wer von vornherein verhindern will, dass das Gelenk blockiert, sollte sich niemals mit vornübergebeugtem Oberkörper bücken oder gar schwere Dinge in dieser Haltung anheben.

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